Die Energiewende hat im vergangenen Jahr an Fahrt gewonnen. Planungs- und Genehmigungsverfahren wurden vereinfacht, der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung stieg erstmals auf deutlich über 50 Prozent. Dennoch bleiben die Herausforderungen groß: Um die Ziele zu erreichen, sind laut „Fortschrittsmonitor Energiewende“ von EY und BDEW Investitionen in Höhe von 721 Mrd. € bis 2030 in den Bereichen Energieerzeugung, Stromnetze, Wasserstoffwirtschaft, Wärme und Verkehr erforderlich. Dass solche Investitionen nicht nur zum Klimaschutz beitragen können, sondern auch zum Wirtschaftswachstum in Deutschland, wird ebenfalls im neuen Fortschrittsmonitor dargelegt. (Nachweis für Beitragsbild: ContextCrew)
Der Fortschrittsmonitor untersucht anhand von Kennzahlen den aktuellen Stand der Energiewende in Deutschland und zeigt auf, wo die größten Hemmnisse für die Realisierung liegen. Im Vergleich zum Vorjahr kam 2023 der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze deutlich voran. 2023 war vor allem ein Rekordjahr für die Photovoltaik: Insgesamt wurde dem Bericht zufolge eine Leistung von 13,6 GW an PV-Anlagen hinzugefügt.
Auch der Ausbau der Windenergie hat an Fahrt gewonnen: Im Jahr 2023 wurde die Windenergie an Land um etwa 3,3 GW ausgebaut und damit so stark wie seit 2017 nicht mehr. Damit liegt der Zubau über dem Vorjahresniveau, bleibt jedoch unter dem Zielpfad von 5,5 GW. Die Windenergie auf See legte um etwa 0,3 GW zu. „Trotz dieser Erfolge: Um das Ausbauziel zu erreichen, muss der Ausbau der Windenergie an Land um den Faktor 1,7 und der Ausbau der Windenergie auf See sogar um den Faktor 9 gesteigert werden“, heißt es bei EY und BDEW.
Defizite im Bereich der Wärme- und Mobilitätswende bleiben groß
Vor allem in Bezug auf die Wärme- und Mobilitätswende bleibt aber noch viel zu tun: Der EE-Anteil am Endenergieverbrauch lag 2023 bei Wärme bei 18 Prozent und der EE-Anteil in der Mobilität bei 7 Prozent. Vor allem bei der Wärmewende gab es 2023 Rückschläge: So habe die Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) im Sommer 2023 zu erheblichen Unsicherheiten und infolgedessen zu vorgezogenen Investitionen in Gasheizungen geführt, nachdem deren Absatz im Vorjahr noch gesunken war. Trotz eines Anstiegs des Absatzes von Wärmepumpen um etwa 50 Prozent im Jahr 2023 sind gasbasierte Wärmeerzeuger immer noch die meistverkauften Geräte. Hinzu kommen Engpässe aufgrund von Fachkräftemangel, die voraussichtlich eine weitere Verzögerung des Wärmepumpenausbaus verursachen werden.
„Grundsätzlich gilt: Für eine erfolgreiche Wärmewende braucht es die Einbeziehung aller Wärmeversorgungsoptionen, die klimafreundlich Wärme in die Wohnungen bringen können“, betonen die Autoren. Dazu gehörten neben den beiden Säulen Wärmepumpe und Fernwärme auch gasbasierte Systeme – künftig allerdings betrieben mit erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen.
Energiewende-Investitionen tragen zu Wirtschaftswachstum bei
Den mit 49 Prozent größten Anteil an den Gesamtinvestitionen von 721 Mrd. € allein bis 2030 hat der Ausbau der EE-Stromerzeugung (353 Mrd. €). Dahinter folgen der Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze (281 Mrd. €), Investitionen ins Fernwärme-Netz (32 Mrd. €), 23 Mrd. € für Erzeugungskapazitäten für grüne Gase, 17 Mrd. € für Speicher und 15 Mrd. € für das H2-Kernnetz.
„In der deutschen Energiewirtschaft stehen in den kommenden Jahren Milliardeninvestitionen an – Investitionen, die allerdings in erheblichem Umfang Wachstum und regionale Wertschöpfung generieren können“, betont Metin Fidan, Partner bei EY und Leiter des Bereiches Green Transformation und Mining & Metals in der Region Europe West. Denn die Investitionen würden für eine erhebliche Wertschöpfung bei den Herstellern der Investitionsgüter sorgen, beispielsweise von Windturbinen, Solarpanelen oder bei Herstellern von Prozessanlagen für Elektrolyse. Die Studie geht von einer Bruttowertschöpfung von ca. 52 Mrd. € pro Jahr und damit 1,5 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland aus, die durch diese Energiewende-Investitionen generiert werden kann.
Investitionen bleiben hinter Potenzial zurück
Die im Jahr 2023 tatsächlich ausgelöste Bruttowertschöpfung wird allerdings nur auf etwa 28 Mrd. € geschätzt – damit konnten nur 54 Prozent des jährlichen Potenzials realisiert werden. Immerhin konnte auf diese Weise der durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise verursachte Wachstumseinbruch in Deutschland begrenzt werden. Im Bereich Stromerzeugung wurden 2023 statt 27 Mrd. € (Potenzial) tatsächlich nur Wertschöpfungseffekte von 16,4 Mrd. € erzielt. Bei den Verteil- und Transportnetzen liegt das Verhältnis mit 9,7 von 11,6 Mrd. € deutlich günstiger.
„Wir sehen, dass das jährliche Wertschöpfungspotenzial noch bei weitem nicht vollständig realisiert werden kann“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Um die Potenziale voll zu nutzen, ist vor allem eine weitere Steigerung der Investitionen in den Bereichen EE-Stromerzeugung und Netzausbau erforderlich.“ Weitere Impulse seien durch den Ausbau der Fernwärme, des H2-Kernnetzes sowie der Energiespeicher nötig.
Immerhin: Die Investitionen im Jahr 2023 haben eine deutlich höhere Wertschöpfung ausgelöst als im Vorjahr, als nur eine Wertschöpfung von 8,6 Mrd. € generiert wurde. Dennoch liegt das Investitionsvolumen nach wie vor deutlich unter Plan.
Netzstabilität als positiver Standortfaktor in Deutschland
Eine enorme Leistung bescheinigt der Fortschrittsmonitor der Netzwirtschaft in Deutschland: Seit 2006 konnte die Dauer der Strom-Versorgungsunterbrechungen in etwa halbiert werden. Auch vor dem Hintergrund des steigenden Anteils der Erneuerbaren Energien im System wurde das hohe Niveau in der Versorgungssicherheit nicht nur gehalten, sondern verbessert. Mit einer Versorgungsunterbrechung von 12,2 Minuten pro Letztverbraucher lag der Wert in 2022 weiterhin unter dem langjährigen Durchschnitt von 14,76 Minuten. Das ist im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Die hohe Netzstabilität ist ein positiver Standortfaktor für Deutschland.
Trotz aller Fortschritte: „Der Handlungsdruck bleibt hoch, um die Ziele bis 2030 zu erreichen“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung: „Positiv sind die Fortschritte, die es laut unseres Fortschrittsmonitors bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren gibt. Dieser Trend muss unbedingt gehalten und noch weiter verstärkt werden.“
Um ambitionierte Ziele bis 2030 zu erreichen, wird Kapital benötigt
Die Summen, die laut Fortschrittsmonitor investiert werden müssen, zeigten deutlich, dass Kapital benötigt wird, um die „sehr ambitionierten Ziele bis 2030“ erreichen zu können. „Dieses anzureizen und Investitionen zu ermöglichen gehört zu den größten Herausforderungen der kommenden Jahre“, betont Andreae. „Wir können uns dabei nicht allein auf öffentliche Mittel verlassen. Mehr denn je gilt es, privates Kapital für die Energiewendeprojekte zu gewinnen.“
Die Investitionen in die Energiewende seien allerdings auch gut angelegtes Geld. „Es handelt sich hier um Investitionen in langfristig nutzbare moderne Energie-Infrastrukturen und innovative Technologien, von denen gerade künftige Generationen profitieren werden“, hebt Andreae hervor.
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