Eine von Roland Berger erarbeitete Studie im Auftrag von Enpal stellt den möglichen Beitrag dezentraler Energielösungen zur Energiewende in Deutschland heraus. Das zentrale Ergebnis: Bis 2045 können dezentrale Technologien einen gesamtwirtschaftlichen Mehrwert von bis zu 255 Mrd. Euro schaffen. Die Ergebnisse wurden in Berlin von einem Unternehmensbündnis vorgestellt, dem über 20 Anbieter aus den Bereichen Photovoltaik, Speicher, Wärmepumpen und Elektromobilität angehören.
Die Analyse zeigt, dass ein zukunftsfähiges, kosteneffizientes und versorgungssicheres Energiesystem in Deutschland auf drei Säulen beruhen muss: dem weiteren Ausbau großskaliger erneuerbarer Energien, dem Einsatz konventioneller Backup-Kapazitäten und der konsequenten Integration dezentraler Lösungen. Letztere umfassen unter anderem Photovoltaikanlagen mit Batteriespeichern, Wärmepumpen sowie Elektromobilität mit bidirektionalem Laden.
Roland Berger kommt zu dem Schluss, dass diese dritte Säule bisher nicht ausreichend berücksichtigt wird. Dabei könnten gerade dezentrale Ansätze maßgeblich dazu beitragen, die Gesamtkosten des Energiesystems zu senken. Ihr Potenzial liegt sowohl in direkten Einsparungen für Verbraucherinnen und Verbraucher als auch in der Reduzierung des notwendigen Netzausbaus und in positiven Arbeitsmarkteffekten.
Potenziale für Haushalte, KMU und das Gesamtsystem
Im Fokus der Studie steht der direkte Nutzen für Endverbraucher. Private Haushalte könnten ihre Energiekosten um bis zu 50 Prozent senken. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Ersparnis von 900 bis 1.200 Euro. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) profitieren in ähnlicher Größenordnung: Je nach Verbrauch ergibt sich ein Einsparpotenzial von 1.500 bis 2.500 Euro pro Jahr.
Auch für die Gesamtwirtschaft sind die Effekte erheblich. Roland Berger beziffert den potenziellen Mehrwert dezentraler Lösungen bis 2045 auf 185 bis 255 Mrd. Euro – durchschnittlich bis zu 13 Mrd. Euro pro Jahr. Rund 120 bis 160 Mrd. Euro dieser Summe ergeben sich durch niedrigere Energiekosten und Investitionen von Haushalten und KMU. Darüber hinaus könnten bis 2045 etwa 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, vor allem in Branchen wie Photovoltaik, Wärmetechnik und Speicherlösungen.
Nicht nur bei den Kosten für Endverbraucher, sondern auch im Netzbetrieb zeigen sich Vorteile: Der notwendige Ausbau der Verteilnetze könnte um bis zu 40 Prozent geringer ausfallen, wenn dezentrale Systeme systematisch integriert werden. Auch die Redispatchkosten – also Ausgaben für Netzstabilisierungsmaßnahmen – lassen sich laut Studie um rund 40 Prozent reduzieren.
Faire Rahmenbedingungen für alle Energielösungen schaffen
Damit die berechneten Effekte tatsächlich eintreten können, seien gezielte politische Entscheidungen erforderlich. Die Studie betont, dass dezentrale Lösungen kein optionaler Bestandteil des Energiesystems sind, sondern ein dringend notwendiges „Systemupgrade“. Die Allianz von mehr als 20 Unternehmen fordert in diesem Zusammenhang eine „kosteneffiziente und bedarfsgerechte Gestaltung der Energiewende“ und stellt sieben politische und regulatorische Maßnahmen vor:
- Ausbautempo der Erneuerbaren hochhalten: Dezentrale Lösungen können die Systemkosten der Energiewende deutlich reduzieren. Deshalb sollte der Ausbau von Wind- und Solarenergie ungebremst fortgesetzt werden. Die Allianz bekräftigt die im EEG verankerten Ausbauziele bis 2030 und sieht darin eine Grundlage für die kosteneffiziente Integration dezentraler Technologien.
- Versorgungssicherheit durch echte Marktmechanismen gewährleisten: Flexible Verbraucher, Speicher und steuerbare Erzeuger sollen diskriminierungsfrei am Strommarkt teilnehmen und für ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit fair entlohnt werden. Ein solcher Mechanismus schafft Investitionsanreize für neue flexible Kapazitäten, reduziert die Abhängigkeit von teuren zentralen Kraftwerken und verringert den Bedarf an Energieimporten.
- Dynamische Netzentgelte und Redispatch 3.0 einführen: Um die Netzentgeltkosten für Endverbraucher und das Gesamtsystem zu senken, sollten kostenreflexive, dynamische Netzentgelte etabliert werden. Dezentrale Speicher, einschließlich Groß- und Heimspeicher, sowie mobile Speicher müssen dabei in einem funktionierenden Wettbewerbsumfeld („Level Playing Field“) berücksichtigt werden.
- Dezentrale Lösungen über Smart Meter und digitale Prozesse in den Markt integrieren: Ein flächendeckender Smart-Meter-Rollout, modernisierte Marktkommunikation und die konsequente Durchsetzung digitaler Prozesse bei Verteilnetzbetreibern sind Voraussetzung, damit dezentrale Systeme intelligent, massentauglich und systemdienlich eingesetzt werden können.
- Emissionshandel planmäßig starten: Der EU-Emissionshandel für die Sektoren Wärme und Verkehr (ETS2) soll planmäßig 2027 starten. Ein stabiler Emissionshandel mobilisiert privates Kapital zur Dekarbonisierung, schafft klare Preissignale und unterstützt die kosteneffiziente Umsetzung der Energiewende. Aufweichungen auf europäischer Ebene lehnt die Allianz ab.
- Förderungen smarter ausrichten: Förderungen und steuerliche Anreize sollen den Bau, Einsatz und Erhalt dezentraler Lösungen unterstützen. Gleichzeitig sollten marktliche Anreize einen planbaren Subventionsabbau (Phase-out) fördern, der Nachfrage erzeugt und die Staatskasse entlastet. Dazu gehören funktionierende Direktvermarktung von Kleinanlagen sowie ein spürbarerer CO₂-Preis in Wärme und Verkehr.
- Klare Ziele für Flexibilität rechtlich verankern: Deutschland muss laut EU-Verträgen bis 2026 seinen nicht-fossilen Flexibilitätsbedarf offiziell quantifizieren und als nationales Ziel verankern. In einer Flexibilitätsagenda sollen weitere Hürden für den Einsatz dezentraler Flexibilität beseitigt werden, darunter der komplexe Rechtsrahmen beim bidirektionalen Laden von Elektrofahrzeugen.
Nach Einschätzung der Studienautoren und beteiligten Unternehmen könnte so ein „Level Playing Field“ zwischen dezentralen, zentralen und konventionellen Lösungen geschaffen werden.
Marc Sauthoff, Senior Partner bei Roland Berger, betonte bei der Vorstellung der Ergebnisse: „Dezentrale Energielösungen leisten einen wichtigen Beitrag zu einem kosteneffizienten und weniger von fossilen Energien abhängigen Energiesystem. Wenn die richtigen Weichen gestellt werden, kann die Branche in den kommenden Jahren einen echten Unterschied machen.“
Debatte nicht in ein „Entweder-oder“ führen
Unternehmen aus der Allianz unterstrichen die Relevanz der Studie. Benjamin Merle-Oberheide, Strategiechef von Enpal, wies darauf hin, dass die Debatte nicht in einem „Entweder-oder“ zwischen zentralen und dezentralen Lösungen geführt werden dürfe. Vielmehr komme es darauf an, „mit geringstem Aufwand den größten Nutzen“ zu erreichen. Auch Philipp Schröder, Geschäftsführer von 1Komma5°, hob die Bedeutung intelligenter Netzintegration hervor: Wer heute ein starres Stromnetz plane, verursache höhere Residuallasten und steigende Netzausbaukosten. Flexible Verbraucher und Speicher könnten dagegen den Strompreis unmittelbar senken.
Weitere Stimmen betonten die sicherheits- und wirtschaftspolitische Dimension. So sprach Felix Plog, CEO von thermondo, von der Notwendigkeit, mit dezentralen Technologien die Abhängigkeit von Gas und Öl zu verringern. Giovanni Palazzo, CEO von Volkswagen Group Charging (Elli), verwies auf das Potenzial der Elektromobilität in Kombination mit bidirektionalem Laden, das heute schon technisch verfügbar sei.
Zur neuen Allianz gehören neben Enpal, 1Komma5°, LichtBlick, Octopus Energy, thermondo und Volkswagen Group Charging (Elli) auch Unternehmen wie Bosch, sonnen, Vonovia, gridX und weitere Anbieter. Gemeinsam wollen sie auf die politischen Rahmenbedingungen hinwirken, die für eine breite Umsetzung dezentraler Energielösungen erforderlich sind.
Die Studie verdeutlicht, dass der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem nicht allein durch zentralisierte Großprojekte beschritten werden kann. Vielmehr könnten dezentrale Technologien eine Schlüsselrolle einnehmen – sowohl bei der Kostensenkung als auch bei der Stärkung von Versorgungssicherheit und lokaler Wertschöpfung.
⮚ Gesamtwirtschaftlicher Nutzen: 185–255 Mrd. Euro bis 2045 (durchschnittlich bis zu 13 Mrd. Euro/Jahr)
⮚ Einsparungen für Endverbraucher: Haushalte: bis zu 1.200 Euro pro Jahr (durchschnitllich 50 Prozent weniger Energiekosten)
⮚ Einsparungen für KMU: bis zu 2.500 Euro pro Jahr
⮚ Netzausbau: bis zu 40 Prozent weniger Investitionen nötig
⮚ Redispatchkosten: Reduktion um ca. 40 Prozent
⮚ Arbeitsmarkt: bis zu 100.000 neue Stellen bis 2045
⮚ Investitionseffekte: 120–160 Mrd. Euro zusätzliche Wertschöpfung durch private Investitionen in PV, Speicher, Wärmepumpen und E-Mobilität