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Neues Buch erschienen

„Energiewende ist keine Pflichtübung, sondern eine riesige Gestaltungsaufgabe“

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„Die Energiewende ist keine Pflichtübung, sondern eine riesige Gestaltungsaufgabe.“ Das sagt der Physiker und Innovationsforscher Gunnar Erik Brink. Brink, der für die Fraunhofer-Gesellschaft Programme zur Förderung technologieorientierter Ausgründungen entwickelte, hat jetzt ein Sachbuch mit dem Titel „Energiewende 2.0 – Innovationen für wirtschaftlichen Erfolg und eine lebenswerte Zukunft“ veröffentlicht, in dem er ausführlich auf die aktuell zur Verfügung stehenden Technologien zur Energieerzeugung eingeht – und mit konzeptionellen Ideen hinterlegt, wie ein lernendes System angelegt werden kann, das die Transformation „technologieoffen, aber nicht beliebig“ gestaltet.

Exemplarisch zeigt sich der Ansatz im Kapitel zum Thema Bioenergie – auch wenn die Bioenergie nicht im Zentrum der Analysen steht. Brink widmet sich den Begrenzungen, aber eben auch den weiterhin bestehenden Perspektiven des Technologiebereichs Bioenergie. Chancen bietet demnach die intelligente Integration der energetischen und stofflichen Biomassenutzung in geschlossene Kreislaufsysteme. Die Nutzung tierischer Abfälle als Biomassequelle habe mehrere Vorteile, führt der Autor aus. Sie könne Umweltauswirkungen der Viehzucht verringern, indem sie die Treibhausgasemissionen bei der Lagerung und Zersetzung von Gülle reduziert. Zudem könne sie den Landwirten eine zusätzliche Einkommensquelle bieten und ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern.

Themenkomplex Abfall und Reststoffe als Biomasse gewinnt an Bedeutung

Die Thematik von Abfall – insbesondere Lebensmittelabfall – und Biomasse gewinne zunehmend an Bedeutung, vor allem im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen. Brink verweist auf Analysen in den USA, nach denen die jährliche Lebensmittelverschwendung in den Staaten Emissionen von 170 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten verursache, „dies entspricht den jährlichen CO2-Emissionen von 42 Kohlekraftwerken“. In dieser Schätzung seien die erheblichen Methanemissionen, die durch das Verrotten von Lebensmittelabfällen auf Mülldeponien entstehen, noch nicht einmal berücksichtigt.

„Biomasse, gewonnen aus organischen Abfällen wie Lebensmittelresten, stellt eine wertvolle Ressource dar, die zur Energiegewinnung genutzt werden kann“, betont Brink. „Die Umwandlung von Lebensmittelabfällen in Biogas oder andere nutzbare Biomasseformen reduziert nicht nur die Menge der Abfälle, die auf Deponien landen, sondern trägt auch zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen bei.“ Somit biete die effiziente Nutzung von Biomasse aus Abfällen eine doppelte Chance: Sie mindert Umweltbelastungen und schafft gleichzeitig erneuerbare Energiequellen.

Nutzung des Reststoffpotenzials könnte 20 Prozent des heutigen Gasbedarfs decken

Wenn alle organischen Abfälle, die in Kommunen anfallen, in Biomasse, Biokraftstoffe oder Biogas umgewandelt würden, könnten erhebliche Mengen an fossiler Energie eingespart werden. „Durch die vollständige Nutzung des nachhaltigen Potenzials von Rohstoffen wie Ernterückständen, Gülle, Siedlungsabfällen, Abwässern und forstwirtschaftlichen Rückständen könnten etwa 20 Prozent des heutigen weltweiten Gasbedarfs gedeckt werden“, so Brink mit Verweis auf entsprechende Studien. Dies würde zu einer erheblichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen führen und auch die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen verringern.

Die Kreislaufwirtschaft steht auf der „Biomasse- und Biogas-Effizienzleiter“ auf der höchsten Stufe. Hier wird Biomasse und Biogas in einem geschlossenen System wiederverwendet, recycelt und nachhaltig verwaltet. „Diese Stufe beinhaltet die Maximierung der Ressourceneffizienz und die Minimierung von Abfällen und Emissionen.“

Hoher Flächenbedarf der Biomasse: PV und Sektorkopplung meist effizienter

Die kritische Diskussion zur Biomasse als energetischem Rohstoff greift der Autor auf. Biomasse als Hauptfrucht werde wegen der Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, der geringeren Energieausbeute pro Fläche im Vergleich zu PV und Windkraft und der möglichen Belastung der Böden kritisch gesehen. Neuere Studien betonten die Überlegenheit von Photovoltaik. Gegen die Biogas- und Biodieselproduktion in der heutigen Form spreche demnach der deutlich höhere Stromertrag von Photovoltaik-Freiflächenanlagen und die „effizientere Wärmeerzeugung durch Photovoltaikanlagen in Kombination mit Wärmepumpen“. Mit Blick auf die Nutzung im Verkehr ermögliche PV in Verbindung mit E-Mobilität ein Vielfaches der Reichweite bei gleicher Flächennutzung Biodiesel auf Rapsbasis, selbst unter Einbeziehung der Nebenprodukte, die bei der Rapsölproduktion anfallen.

Neben dem Fokus auf Abfall- und Reststoffe biete die Nutzung von Meeresbiomasse Perspektiven für künftiges Wachstum. Durch die Eutrophierung durch den menschlichen Eintrag von Stickstoff- und Phosphorverbindungen in die Meeresumwelt komme es zu einem übermäßigen Wachstum von Algen und anderen Organismen, die wiederum zu Sauerstoffmangel in den Gewässern führen könne. Die Ernte von mariner Biomasse biete eine vielversprechende Möglichkeit, diesem Problem entgegenzuwirken. Durch die gezielte Ernte und Nutzung mariner Biomasse könne erneuerbare Energien produziert und zugleich aktiv zur Verbesserung der Gesundheit unserer Meere beigetragen werden.

Welche Potenziale bietet die Nutzung von Meeresbiomasse?

Algen, die auch an Land kultiviert werden könnten, produzieren einen hohen Ertrag an Biomasse pro Flächeneinheit. Im Vergleich zu anderen Pflanzen benötigen sie demnach wenige Fläche, um die gleiche Menge an Biomasse bereitzustellen. Ihr Anbau erfordere keinen Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden oder Herbiziden, „was bedeutet, dass sie die Umwelt weniger belasten als herkömmliche Nutzpflanzen“, heißt es in dem Buch weiter. Brink räumt gleichwohl ein, dass die Nutzung von mariner Biomasse spezielle Techniken und Geräte erfordert, deren Entwicklung noch ganz am Anfang steht. Auch die Logistik für Produktion und Transport stelle eine Herausforderung dar. Mithin seien noch erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich.

„Kluge Technologien können ganze Wertschöpfungsketten neu definieren“

Das Beispiel der Bioenergie zeigt den Ansatz des Buches, bestehende Lösungen strategisch weiterzudenken und in ein Gesamtsystem zu integrieren. Brink plädiert für eine innovationsgetriebene, unternehmerisch-kreative Energiewende, die auf eine Vielfalt verlässlicher und dauerhaft nachhaltiger Energiequellen setzt – weit über Wind und Solar hinaus. „Wir stehen an einem Punkt, an dem kluge Technologien ganze Wertschöpfungsketten neu definieren können – vom Strommarkt bis zur industriellen Produktion“, sagt der Autor. Das Buch sei „kein Plädoyer für eine Lösung, sondern ein Plädoyer für strategischen Realismus“.

Das 356 Seiten starke Werk widmet sich auf der Erzeugungsseite den Themenfeldern Geothermie, Biomasse, Solarenergie, Windenergie sowie Wasserkraft und Meeresenergie. In weiteren Kapitel werden unter anderem die netzgekoppelte Speicherung, Energieübertragung, Sektorkopplung sowie die Abscheidung und Nutzung von CO2 und CH4 thematisiert. Ein abschließendes Kapitel widmet sich den Perspektiven einer Weiterentwicklung der Kernenergie.

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