Der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Gesetzentwurf „zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts zur Vermeidung von temporären Erzeugungsüberschüssen“ (20/14235) stößt bei Sachverständigen auf Zustimmung. Die Regelungen zur Spitzenkappung seien vor dem Hintergrund eines weiterhin boomenden Photovoltaik-Ausbaus dringend nötig, um die Netzsicherheit zu gewährleisten und sollten daher noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, fasst der Pressedienst des Bundestags den Tenor der Experten während einer Anhörung des Energieausschusses zusammen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, im EEG die Direktvermarktung auszuweiten und zu entbürokratisieren. Zudem sollen die Regelungen zur Vergütung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Zeiten negativer Preise angepasst sowie die Vermarktung kleinerer PV-Anlagen durch die Übertragungsnetzbetreiber reformiert werden. Durch eine Ausweitung der Steuerbarkeitsanforderungen soll zudem gewährleistet werden, dass erneuerbare Energien zunehmend mehr Funktionen für die Systemsicherheit übernehmen.
Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung des Netzbetreibers 50Hertz Transmission GmbH, sagte zum Thema PV-Spitzen, dass die geplanten Maßnahmen dringend erforderlich seien. „Wir brauchen wirksame Preissignale und auch Steuerungsmöglichkeiten im System.“ Andernfalls könne es durch Erzeugungsüberschüsse zu Netzsituationen kommen, „in denen ganze Verteilnetzstränge und damit Endverbraucher temporär von der Stromversorgung getrennt werden müssen“.
Wegfall der Förderung bei negativen Preisen bei späterer Nachholung sinnvoll
Auch Nadine Bethge, stellvertretende Leiterin Energie und Klimaschutz bei der Deutsche Umwelthilfe (DUH), nahm Stellung zur Problematik der temporären Erzeugungsspitzen. Wenn ständig kleine und große Kapazitäten hinzukommen, die unabhängig vom Bedarf Strom liefern und ins Netz müssen, sei es verständlich, dass die Übertragungsnetzbetreiber Druck machten, weil sie die Steuerbarkeit von PV-Anlagen brauchten. Die dazu vorgelegten Regelungen seien sinnvoll und sollten beschlossen werden, sagte Bethge. Sie seien im Interesse aller, minimalinvasiv und gut für günstige Preise.
Andrees Gentzsch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), sprach sich dafür aus, das Maßnahmenpaket zur Vermeidung von Stromspitzen und zur Gewährleistung der Systemstabilität noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Darin fänden sich Dinge, die ohnehin benötigt würden, „unabhängig davon, wie die energiepolitischen Weichenstellungen der nächsten Bundesregierung aussehen“. Keine Regierung wolle „Brownouts“, also temporäre Stromversorgungsunterbrechungen, oder den PV-Ausbau schwächen.
Den PV-Ausbau nannte Gentzsch „enorm erfolgreich“. Allein 2024 seien 17 Gigawatt zugebaut worden. Diese exponentielle Zunahme führe aber auch zu Herausforderungen im Netz. Beispiel dafür sei die „Mittagsspitze“, die in das Netz hineindrücke, und bei der man schauen müsse, wie das Netz stabil bleibt.
Der Wegfall der EEG-Förderung bei negativen Börsenpreisen sei sinnvoll, wenn nicht vergütete Strommengen später nachgeholt werden könnten, ergänzte der BDEW in einer Mitteilung anlässlich der Anhörung. „Perspektivisch ist hier eine Weiterentwicklung hin zu einem echten Marktmengenmodell ohne Restriktionen notwendig.“
Kießling: Es braucht ein „Not-Aus“ für Bestandanlagen
Für die Verabschiedung des Energiewirtschaftsgesetzes in der Fassung der Bundesregierung sprach sich im Rahmen der Anhörung Professor Lion Hirth von der Hertie School aus. Die Änderungsvorschläge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen schwächten den Entwurf hingegen an wesentlichen Stellen, befand er.
Lasse man den Zubau bei PV-Anlagen einfach so weiterlaufen, erhöhe man weiter die mittägliche Erzeugungsspitze, was zu erheblichen Herausforderungen für einen sicheren Netzbetrieb führe, sagte Andreas Kießling, Leiter Politik beim Energieanbieter Bayernwerk AG. Er begrüßte die Gesetzesvorlage. Es brauche ein „Not-Aus“ für Bestandanlagen und scharfe Sanktionen bis hin zur Netztrennung, um die Erreichbarkeit insgesamt zu erhöhen. Wichtig sei auch das Thema „Spitzenkappung“ für Neuanlagen. Darin bestehe ein Anreiz für netzdienlichere Speicherung. Basis für die Sicht- und Steuerbarkeit von Anlagen, so Kießling, sei das Smart Meter Rollout. Hier dürfe keine Zeit mehr verloren werden.
Körnig hebt Bedeutung von Speichern für bessere Integration Erneuerbarer hervor
Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Solarwirtschaft (BSW), sagte, für die bessere Integration der wachsenden Mengen an Solar- und Windstrom in das Stromsystem spielten Speicher eine zentrale Rolle. So ist laut BSW von Projektierern allein für die nächsten zwei Jahren eine Verfünffachung der Großspeicher-Kapazität angekündigt worden. Schon heute warteten rund elf Gigawatt Leistung und 17 Gigawattstunden Speicherkapazität an Heimspeichern auf einen Rechtsrahmen, „der die flexible systemdienliche Nutzung ermöglicht, vereinfacht und anreizt“. Der zunehmende Speicherausbau gestatte es, den wachsenden mittäglichen solaren Stromerzeugungsgipfel bedarfsgerecht zu verlagern.
Nach Einschätzung von Körnig geht von PV-Anlagen kurzfristig keine Beeinträchtigungen für die Systemsicherheit aus. Wie im Gesetzentwurf vorgesehen, sei jedoch sicherzustellen, „dass die Netzbetreiber die steuerbaren Anlagen im Notfall auch wirklich steuern“. Bis das gewährleistet ist, könne kurzfristig eine zusätzliche Steuerbarkeit auch für kleinere Anlagen geschaffen werden, die auf vorhandener Technik wie Wechselrichtern und Energiemanagementsystemen aufbaut. Im Falle einer „angemessenen Kompensation“ sei nach Einschätzung des Bundesverbandes Solarwirtschaft auch der geplante Wegfall der Förderung zu Zeiten negativer Börsenstrompreise für künftige Solaranlagen-Betreiber tragbar.
Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter bei der Stiftung Umweltenergierecht, plädierte dafür, die Novelle des Energiewirtschaftsrechts „trotz einiger Schwächen“ noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Weitere Schritte des Gesetzgebers müssten dann folgen.
BEE erfreut über Berücksichtigung der Überbauung von NVP in Gesetzentwurf
Matthias Stark, Abteilungsleiter Erneuerbare Energiesysteme beim Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), zeigte sich erfreut, dass mehrere vom BEE angemerkte Punkte zur systemförderlichen Ausgestaltung der Überbauung von Netzverknüpfungspunkten (NVP) in der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes enthalten seien. Dies trage dazu bei, sowohl den Netz- als auch den Anlagenbetreibern für Überbauungsprojekte die notwendige Rechtssicherheit zu geben.
Die Überbauung von Netzverknüpfungspunkten sorge nicht nur dafür, dass man schneller und kostengünstiger ins Netz komme und die PV-Spitzen Thematik lösen könne. Sie sorge vor allem dafür, „dass wir die Netzinfrastruktur besser nutzen und mittelfristig in der Lage sein werden, den Re-Dispatch zu mindern“, sagte Stark.