Simone Peter ist seit 2018 Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE). Zuvor war die gebürtige Saarländerin von 2013 bis 2018 Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen und von 2009 bis 2012 Umwelt- und Energieministerin im Saarland. Wir haben uns mit der BEE-Präsidentin über die großen Fragen der Transformation zum Start in das Jahr 2025 unterhalten. Peter macht deutlich, dass es in der nächsten Stufe der Energiewende um mehr als den Ausbau von Wind- und Solarstromanlagen geht: Die Flexibilitäten rücken mehr und mehr ins Zentrum der Transformation der Energiesysteme.
Frau Peter, die Ampel-Koalition hat in den letzten Jahren den Ausbau der erneuerbaren Energien durch diverse Maßnahmen vorangetrieben, gleichzeitig bleibt nun viel liegen, etwa die EEG/EnWG-Novelle. Welche Bilanz ziehen Sie zur Arbeit der scheidenden Bundesregierung, und wo sehen Sie die Herausforderungen für die Übergangsphase, bis eine neue Regierung handlungsfähig ist?
Die Ampelkoalition hat mit zahlreichen Reformen den Ausbau der Erneuerbaren angekurbelt, allen voran die beiden Zugpferde Windenergie und Photovoltaik, und diese aus einem jahrelangen Tief herausgeführt. Auch ein klarer Fahrplan für die Wärmewende wurde vorgelegt, die Diskussion um ein neues Strommarktdesign gestartet. Das alles wurde vorangebracht, trotz großer externer Herausforderungen, wie den Nachwirkungen der Pandemie, der fossilen Energiekrise und dem Krieg in der Ukraine. Dieses Engagement verdient Anerkennung.
Wenig oder zu späte Aufmerksamkeit der Ampelregierung fanden indes die Erneuerbaren Möglichkeiten des dezentralen Backups im Stromsystem, die günstigster, schneller und sauberer zur Verfügung stehen: Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, saubere Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und Speicher sowie die Verbraucherflexibilität mit Smart Metern, Wärmepumpen und E-Mobilität sowie dynamischen Tarifen und variablen Netzentgelten. Dies wirkt negativen Stunden ebenso entgegen wie dem Bedarf an Wasserstoff-ready-Gaskraftwerken. Auch die Sektorenkopplung, ein neues Strommarktdesign mit dem Fokus auf Flexibilität, Energy Sharing und Direktbelieferung sind mit voller Energie voranzubringen. Brüche bei der Wärmewende sind unbedingt zu vermeiden und die KWK in die Zukunft zu führen.
Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen Deutschland und die deutsche Wirtschaft stehen, ist es wichtiger denn je, die positiven Entwicklungen für die kommende Legislaturperiode zu sichern und liegengebliebene oder nicht umgesetzte Projekte schnell umzusetzen. Wir appellieren deshalb dringend, Projekte, die sich bereits weit im Verfahren befinden, noch vor der kommenden Wahl abzuschließen. Dazu gehören dringlichst eine Übergangsregelung für Biogas, die den Anlagenbestand sichert und Flexibilität anreizt, das Geothermiegesetz und der effiziente Netzanschluss. Hier ist es entscheidend, dass die politischen Parteien gemeinsam an einem Strang ziehen.
Die Ausschreibungsrunden für Wind- und Solarenergie zeigen deutliche Fortschritte, bei der PV ist auch der Ausbau auf Kurs. Im Windbereich gibt es Rekorde bei den Genehmigungen. Es bleiben aber auch Herausforderungen wie Flächenverfügbarkeit und Netzanschlüsse. Welche politischen und rechtlichen Änderungen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um den Ausbaupfad nachhaltig zu beschleunigen und das 2030-Ziel zu erreichen?
Um den bestehenden Anlagenpark zu modernisieren und die Leistung an einzelnen Standorten zu steigern, müssen bei der Windenergie Vereinfachungen und einheitliche Vorgaben beim Repowering eingeführt werden. Damit der Ausbau generell beschleunigt wird, ist die rasche Umsetzung der EU-Richtlinie RED III von zentraler Bedeutung. Sie umfasst sowohl Maßnahmen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren als auch zur Bereitstellung zusätzlicher Flächen. Ein Schlüsselfaktor ist dabei die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Flächen, da nur geeignete Standorte die Umsetzung neuer Projekte ermöglichen.
Bei der Solarenergie müssen in der kommenden Legislaturperiode die bereits heute wirkenden Kostenvorteile mit Hilfe einer besseren Synchronisierung des Stromsystems, einer Stärkung des Speicher-Ausbaus und einer Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft noch stärker nutzbar gemacht werden. Vorhandene Netzkapazitäten durch gemeinsame Netzverknüpfungspunkte („Überbauung“) und mehr Netztransparenz effizienter zu nutzen, ist für Solar- und Windenergie gleichermaßen wichtig.
Insbesondere die Bioenergie hatte in der endenden Legislaturperiode oft einen schweren Stand, obwohl sie durch ihre Steuerbarkeit wichtig für die Netzstabilität ist. Welche Maßnahmen fordern Sie, um Bioenergieanlagen als Flexibilitätsoption langfristig abzusichern und wirtschaftlich attraktiv zu halten? Wie sollte die knappe Ressource Biomasse bestmöglich energetisch genutzt werden, also welche Prioritäten gibt es hier für die Branche?
Im ersten Schritt sollte das EEG-Ausschreibungsvolumen kurzfristig noch vor der Wahl auf mindestens 1.800 Megawatt für das Jahr 2025 erhöht werden, um den Betrieb bestehender Anlagen sicherzustellen. Gleichzeitig muss die Flexibilitätsprämie auf 120 Euro pro Kilowatt angehoben werden, um flexible Betriebsweisen der Anlagen zu fördern.
Darüber hinaus sollten erneuerbare Kraftwerke die Möglichkeit erhalten, sich an Ausschreibungen für Backup-Kapazitäten zu beteiligen, was nach dem Entwurf des Kraftwerkssicherheitsgesetzes nicht möglich war. Hier setzen wir auf eine neue Diskussion nach der Wahl. Dabei sollte der Prozess von Anfang an auf erneuerbare Energien ausgerichtet sein, bevor fossile Lösungen überhaupt in Betracht gezogen werden. Dies gilt insbesondere auch für die Kraft-Wärme-Kopplung.
Neben flexiblen Erzeugungstechnologien wie Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft gewinnt zunehmend die Flexibilisierung der Nachfrage an Bedeutung, etwa im Bereich von Wärmepumpen und Elektroautos, aber auch durch Demand-Side-Management in der Industrie. Welche Instrumente sind erforderlich, um diese Flexibilitäten gezielt in den Markt zu integrieren und wirtschaftlich tragfähig zu machen?
Richtig. Erzeuger-, Speicher- und Verbraucherflexibilität müssen jetzt angereizt und systemdienliches Verhalten belohnt werden. Hierzu sollten die Kraftwerksstrategie und Strommarktdesign als Flexibilitätsstrategie zusammengebracht werden. Neben Perspektiven und Flexibilitätsanreizen für den bestehenden Bioenergieanlagenpark fehlen weiterhin eine Wasserkraftstrategie, eine umfassende Speicherstrategie und das Geothermie-Erschließungsgesetz. Ein Instrument für mehr Verbraucherflexibilität sind dynamische Stromtarife. Wenn der aktuelle Strompreis beim Endverbraucher stärker sichtbar wird, erhöht das den Anreiz, sich flexibel zu verhalten. Wärmepumpen und E-Autos werden dann attraktiver. Dafür bedarf es eines zügigen Rollouts von Smart Metern.
Ein weiterer Hebel, erwünschtes Verhalten durch Strompreise zu steuern, sind dynamisierte Netzentgelte. Diese können dazu führen, dass Prozesse und Anlagen flexibler ausgelegt werden. Damit würde massives Flexibilisierungspotenzial von großindustriellen Verbrauchern freigesetzt. Dazu bedarf es einer umfassenden Netzentgeltreform. Die Bundesnetzagentur hat dazu erste Schritte gemacht, diese sind allerdings noch unzureichend.
Energiespeicher gelten als Rückgrat einer Energiewende, die auf fluktuierend erzeugenden Stromerzeugungstechnologien beruht. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Speichertechnologien in Deutschland, und was müsste sich ändern, um Speicher schneller und in größerem Umfang verfügbar zu machen?
Batteriespeicher leisten durch ihren marktwertstabilisierenden Effekt einen erheblichen volkswirtschaftlichen Beitrag, der die Kosten ihrer Errichtung um ein Vielfaches übersteigt. Im November berichteten Netzbetreiber von einem regelrechten Boom bei den Anträgen für Großspeicher – die beantragte Kapazität ist mehr als hundertmal so hoch wie die derzeit installierte. Auch wenn nicht alle Projekte realisiert werden, zeigt dieser Trend eine klare Richtung auf, der auch bei Heimspeichern zu beobachten ist. Hinzu kommen die ungeheuren Potenziale der bivalent zu betreibenden Batterien in E-Autos.
Um den Ausbau von erneuerbaren Speicherpotenzialen auch mittel- und langfristig auf einem hohen Niveau zu halten, müssen Antragsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Eine Privilegierung von Speichern im Außenbereich könnte ihren verstärkten Einsatz zusätzlich fördern. Weitere Hindernisse bestehen in der langen Wartezeit bis zum Netzanschluss und den hohen Baukostenzuschüssen. Diese liegen zum Teil in einer ähnlichen Größenordnung wie die eigentlichen Investitionskosten des Großbatteriespeichers. Daher sollte der Baukostenzuschuss abgeschafft und der Netzanschluss effizienter gestaltet werden. Der BEE hat hierzu bereits konkrete Vorschläge vorgelegt.
Welche Chancen sehen Sie für die verstärkte Nutzung von Elektrolyseuren in Deutschland, um vor Ort flexibel auf Überschüsse aus erneuerbaren Energien zu reagieren und gleichzeitig einen Beitrag zur Netzstabilität zu leisten? Was müsste politisch getan werden, um diese Potenziale zu heben?
Elektrolyseure können viel Flexibilität ins Energiesystem bringen. Damit dieses Potenzial vollständig genutzt werden kann, ist ein systemdienlicher Betrieb der Elektrolyseure essentiell. Das bedeutet, sie müssen einen Beitrag zur Effizienz und Stabilität der Gas- und Wärmenetze leisten, also Netzengpässen entgegenwirken und Kosten senken.
Elektrolyseure, die sich systemdienlich verhalten, sollten zudem unbefristet von Netzentgelten befreit werden. Da sie keine zusätzliche Belastung, sondern vielmehr eine Entlastung für das Netz darstellen, wäre diese Maßnahme ein logischer und wirksamer Anreiz für ihre Integration ins Energiesystem.
Während im Stromsektor deutliche Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien sichtbar sind, bleiben die Wärme– und Verkehrswende weiterhin große Baustellen der Energiewende. Welche zentralen Defizite sehen Sie aktuell in diesen Bereichen, und welche politischen Weichenstellungen sind Ihrer Meinung nach dringend notwendig, um die Sektoren stärker in die Transformation einzubinden und die Klimaziele zu erreichen?
Die andauernde Verunsicherung von Verbraucherinnen und Verbrauchern und Unternehmen beim Thema Heizen muss ein Ende finden – das gilt auch und vor allem im Wahlkampf. Die Branche benötigt Stabilität und langfristige Planungssicherheit. Die Grundzüge der Gesetzgebung und Fördersystematik, die in dieser Legislaturperiode erarbeitet wurden, bilden dafür die Leitplanken. Die derzeitigen Förderprogramme zur finanziellen Unterstützung der Wärmewende müssen über die Legislatur hinaus reibungslos fortgeführt werden, um einen Stillstand beim Ausbau zu verhindern. Neue Vorschläge zum CO2-Preis können hiermit verbunden werden.
Im Verkehrsbereich stehen wir vor einer erheblichen Emissionslücke, die durch den verlangsamten Zuwachs bei Elektroautos weiter wächst. Die Szenarien des BEE verdeutlichen, dass alle erneuerbaren Optionen im Verkehrssektor genutzt werden müssen, um diese Lücke zu schließen. Dies umfasst starke Anreize für den Umstieg auf Elektromobilität, eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur, aber auch den schnellen Umstieg auf Biokraftstoffe und E-Fuels in Bereichen, die schwer oder gar nicht zu elektrifizieren sind.
Damit der Treibhausgasausstoß im Verkehr schnell genug sinkt, müssen wir auch an den Bestand ran. Hier sind höhere Beimischungsanteile von klimafreundlichen Biokraftstoffen der richtige Weg. Das ist mit Maßnahmen der Betrugsprävention zu flankieren, da das System THG-Quote in den vergangenen zwei Jahren von Fälschungen unterlaufen wurde. Zudem müssen perspektivisch Maßnahmen wie die Anrechnung von Biokraftstoffen auf die CO₂-Flottenemissionswerte ermöglicht werden, um den Verkehrssektor schneller und effizienter zu dekarbonisieren.
Mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten dürften sich die Prioritäten in der globalen Klimapolitik erneut verschieben. Welche Auswirkungen erwarten Sie auf die deutsche und europäische Energiewirtschaft, und wie sollten Deutschland und Europa auf geopolitische Veränderungen reagieren?
Eine wichtiger Schritt wird die Umsetzung des angekündigten Clean Industrial Deal und damit die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU bei Zukunftstechnologien sein. Die Dekarbonisierung der Industrie durch Erneuerbare Energien, Investitionsanreize für die Entwicklung und Stärkung sauberer Technologien in Europa und ein ehrgeiziges Klimazwischenziel für 2040 sind zentrale Bestandteile.
Die Regierung von Joe Biden hat mit dem Inflation Reduction Act (IRA) die Messlatte hoch gelegt und dank Steuergutschriften, weniger Bürokratie und direkten Anreizen Investitionen in Erneuerbare Energien und grüne Technologien angezogen. Noch ist unklar, was die neue Regierung daraus machen wird. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die USA als verlässlicher Partner im Kampf gegen den Klimawandel ausfallen.
Europa wird sich hier stärker einbringen und stärker zusammenarbeiten müssen, um seine Energiesicherheit im sich wandelnden geopolitischen Kontext zu verbessern und um die Bedingungen für die Geschäftstätigkeit attraktiver zu gestalten. Der Ausbau von heimischen Produktionskapazitäten ist wichtig, schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung und macht uns weniger abhängig von Importen.
Abschließend: Welche drei zentralen Maßnahmen sollten Ihrer Meinung nach sofort ergriffen werden, um die erneuerbaren Energien in Deutschland nicht nur auszubauen, sondern auch in ein zukunftsfähiges, flexibles Energiesystem zu integrieren?
Eine wichtige Maßnahme ist die Umstellung auf eine Mengenförderung anstelle der derzeitigen Zeitspanne-basierten Förderung im EEG. Diese Änderung würde das Problem negativer Strompreise und sinkender Marktwerte lösen und gleichzeitig das hohe Tempo des Ausbaus erneuerbarer Energien aufrechterhalten.
Zudem sollte die Möglichkeit geschaffen werden, mehrere erneuerbare Erzeugungsanlagen und Speicher an denselben Netzverknüpfungspunkt (NVP) anzuschließen, auch wenn die maximale Erzeugungsleistung die Kapazität des NVP übersteigt. Das würde die bestehende Netzinfrastruktur effizienter nutzen, den bisher oft langsamen Netzanschluss erheblich beschleunigen und gleichzeitig zahlreiche Vorteile für alle Beteiligten bieten.
Schließlich sollten alle verfügbaren Flexibilitätsoptionen auf der Seite der Erneuerbaren Energien ausgeschöpft werden, anstatt auf den Neubau von Gaskraftwerken zu setzen. Technologien wie Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, Energiespeicher, Elektrolyseure und grüne KWK bieten hier ein großes Potenzial, um die Energiewende effizient und nachhaltig voranzutreiben.
Vielen Dank für das Interview!