Im Zuge der Energiewende gewinnt für viele Unternehmen und Verbraucher die Frage an Bedeutung, woher der grüne Strom stammt. In Europa existiert ein Markt für entsprechende Herkunftsnachweise. Ein wichtiger Player an diesem Markt ist die Energie Baden-Württemberg (EnBW), die auf beiden Marktseiten aktiv ist. Wir haben uns mit Björn Maier, Senior Portfolio Manager im Handelsbereich der EnBW, über die Rolle des Karlsruher Energiekonzerns und die Perspektiven am Markt für HKN unterhalten. (Nachweis für Beitragsbild: EnBW)
Herr Maier, wie beschafft die EnBW Herkunftsnachweise für erneuerbare Energien?
EnBW besitzt als aktuell größter Vermarkter erneuerbarer Energien in Deutschland ein großes Portfolio von eigenen erneuerbaren Erzeugungsanlagen in Deutschland und Europa, grünen Power Purchase Agreements (PPAs) und Anlagen Dritter, die von EnBW zentral bewirtschaftet werden. Dabei werden sämtliche Technologien (Wasser, Wind, Solar und Biomasse) abgedeckt. Darüber hinaus bietet EnBW deutschlandweit eine Vielzahl an Grünstromtarifen durch ihre unterschiedlichen Vertriebsmarken an. Daher ist die EnBW grundsätzlich sowohl auf der Verkaufs- als auch auf der Kaufseite im Markt für Herkunftsnachweise (HKNs) aktiv. Die Bewirtschaftung des gesamten Portfolios erfolgt dabei sowohl über mehrere Jahre im Voraus (Terminmarkt) als auch im kurzfristigen Bereich (Spotmarkt). Erwähnenswert wäre noch, dass der Handel mit Herkunftsnachweisen in Europa aktuell größtenteils OTC (over-the-counter), also im bilateralen Handel, teilweise unter Einbindung von spezialisierten Brokern, erfolgt.
Auf der Angebotsseite zeigt sich aktuell ein massiver Ausbau von Erneuerbaren-Kapazitäten in Europa und Deutschland, das EEG begrenzt zugleich durch das Doppelvermarktungsgebot den Zuwachs an HKN hierzulande. Wie schätzen Sie die künftige Verfügbarkeit von HKN ein? Welche Rolle spielt dabei die Post-EEG-Phase, die viele Anlagen in Kürze erreichen?
In Deutschland soll das sog. Doppelvermarktungsverbot (§80 EEG 2023) die mehrfache Vermarktung der grünen Eigenschaft von Strom aus erneuerbaren Energien verhindern. Das bedeutet konkret, dass Betreiber von EE-Anlagen, die eine Förderung nach dem EEG erhalten (EEG-Vergütung), diesen erzeugten Strom nicht anderweitig als Ökostrom vermarkten dürfen, was im Grunde genommen auch eine sinnvolle Vorgabe darstellt. Dieser (grüne) Anteil an geförderten erneuerbaren Energien im allgemeinen deutschen Strommix steht grundsätzlich den Letztverbrauchern zu und wird in der Stromkennzeichnung im Zuge der Stromabrechnungen regelmäßig mit ausgewiesen. Aufgrund des Doppelvermarktungsverbots können für solche geförderten EE-Anlagen eben keine Herkunftsnachweise (HKNs) ausgestellt werden. HKNs stellen in Deutschland aktuell die einzige Möglichkeit dar, Ökostromlieferungen an Endkunden über die individuelle Stromkennzeichnung nachzuweisen. Dadurch dass hierzulande ein großer Anteil an EE-Kapazität durch das EEG gefördert wird, für diese Anlagen also auch keine HKNs ausgestellt werden, ist das Angebot an HKNs mit deutscher Qualität im europäischen Vergleich sehr gering.
ContextCrew Neue Energie ist ein B2B-Brancheninformationsdienst, der die zentralen Trends und Entwicklungen rund um den Betrieb erneuerbarer Erzeugungsanlagen und Energiespeichern aufbereitet. Dabei richten wir uns an die Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Technologie über Planung und Errichtung von Anlagen, den Betrieb und der Vermarktung der erzeugten Energie bis hin zu Verwertung und/oder Rückbau von Anlagen.
- Wöchentlich veröffentlichen wir eine kompakte Ausgabe – gedruckt oder online als „Flippingbook“.
- Im digitalen Raum werden tagesaktuelle Information unmittelbar in sachbezogene Kontexte eingebunden. Dazu dienen Formate wie Blickpunkte, Dossiers und der Link-Kompass.
- Weitere Informationen und ein günstiges Einstiegsangebot finden sich hier.
Für Wind- und Solarparks mit einem Inbetriebnahmejahr ab 2000 gilt ein maximaler EEG-Förderzeitraum von 20 Jahren. Dabei werden die Anlagen mit einer Inbetriebnahme vor dem Jahr 2000 mit Anlagen gleichgestellt, die in 2000 in Betrieb genommen wurden. Seit 2021 sehen wir nun verstärkt HKNs der Technologie Wind Onshore Deutschland auf den Markt kommen, da für diese älteren Windparks, nach Auslaufen der jeweiligen EEG-Förderung, nun auch HKNs ausgestellt werden dürfen. Das Volumen dieser Menge hat sich in den ersten Post-EEG-Jahren stets gesteigert und dürfte auch in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es sich bei diesen Assets um ältere Anlagen (teilweise deutlich über 20 Jahre alt), die am Ende ihrer Lebensdauer auch sukzessive wieder außer Betrieb genommen bzw. Repowering erfahren werden. Im Bereich Post-EEG gibt es aktuell noch wenige Solaranlagen, da es sich bei Solarparks dieses Alters noch überwiegend um kleinere Anlagen handelt, die, aufgrund der, verglichen mit Wind Onshore, geringeren Volllaststunden, derzeit noch nicht signifikant zum HKN-Angebot beitragen.
Volumentechnisch interessanter wären hier z.B. neu gebaute, ungeförderte Solarparks (z.B. die EnBW-Solarparks Weesow, Gottesgabe und Alttrebbin), die allerdings zu einem überwiegenden Anteil langfristig über PPAs abgesichert werden und somit dem allgemeinen HKN-Angebot in Deutschland ebenfalls nur begrenzt zur Verfügung stehen.
Als Fazit lässt sich sagen, dass zwar ein stetiger Ausbau an EE-Kapazitäten in Deutschland erkennbar ist, diese Tatsache jedoch aktuell aufgrund diverser Vermarktungsarten (EEG, PPAs…) nicht vollumfänglich zu einem stark steigenden HKN-Angebot beiträgt. Gleichzeitig gibt es aktuell noch viel Unsicherheit bzgl. dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland, dem angedachten Netzausbau (Stichwort Redispatch/Abregelung von Erneuerbaren) sowie dem Fortbestand des Doppelvermarktungsverbots. Alles Aspekte, die die Angebotsseite im (deutschen) HKN-Markt zukünftig deutlich beeinflussen können.
Nachfrageseitig ist ein stark wachsender Bedarf an HKN im Zuge der Defossilisierung zu beobachten. Welche Rolle spielen dabei Corporate Power Purchase Agreements?
Corporate Power Purchase Agreements (CPPAs) sind für Unternehmen eine Möglichkeit, sich mittel- bis langfristige Versorgung aus erneuerbaren Energien zu sichern. CPPAs sind dabei im Rahmen einer nachhaltigen Beschaffung und Versorgung lediglich ein Baustein, haben jedoch viele Vorteile, u.a. langfristige Preisabsicherungen, individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in bilateralen Verträgen (insbesondere hinsichtlich Risikoverteilung und -minimierung) sowie die Möglichkeit, erneuerbaren Strom direkt und mit regionaler Identifikation zu beziehen. Neben dem (quantifizierbaren) Beitrag zu den unternehmensinternen Nachhaltigkeitszielen und Klimaschutzstrategien können CPPAs damit auch einen wichtigen Bestandteil bei der Unternehmenskommunikation und damit positiven Einfluss auf die Außenwirkung / das Image des Unternehmens leisten und darstellen.
Seit 2020 bietet die EnBW interessierten Unternehmen CPPAs gekoppelt mit neuen Solar- und Windparks an. Ein prominentes Beispiel ist dabei einer der ersten förderfreien Offshore-Windparks, der Ende 2025 in der Nordsee in Betrieb gehen soll: der EnBW-Offshore-Windpark He Dreiht.
Im Jahr 2023 sind die HKN-Preise auf Spitzenwerte gestiegen, zum Jahreswechsel haben sie sich etwas reduziert. Wie werden sich die Trends auf Angebots- und Nachfrageseite nach Ihrer Einschätzung auf die weitere Preisentwicklung bei HKN auswirken?
Grundsätzlich werden Marktpreise durch Angebot und Nachfrage eines Produkts gebildet. Auf der Angebotsseite haben sicherlich die oben genannten Aspekte (siehe Frage 2) einen großen (langfristigen) Einfluss auf die HKN-Volumina. Kurzfristig ist jedoch immer auch die aktuelle / perspektivische Wettersituation für das zur Verfügung stehende bzw. zu erwartende HKN-Angebot entscheidend. Ein Beispiel hierfür lieferten die Jahre 2022 / 2023, in denen, aufgrund der schlechten EE-Produktionsdaten (im Wesentlichen die weit unterdurchschnittliche Wasserproduktion in 2022 in Europa), dem Markt weit weniger HKNs zur Verfügung standen als ursprünglich erwartet. Diese Situation, die auch bei vielen Marktteilnehmern zu Anpassungen in der Risikosteuerung führte, resultierte in einem bis dato noch nie gesehenen Preisanstieg über sämtliche HKN-Qualitäten und das aktuelle sowie die folgenden Produktionsjahre. Mit dem sich erholenden Angebot durch die guten Produktionszahlen in 2023 hat sich auch die Preissituation bis heute wieder deutlich entspannt.
Auf der anderen Seite besteht nach wie vor eine ungebremst hohe Nachfrage nach Ökostrom. Einerseits durch das zunehmende ökologische Bewusstsein in der Bevölkerung, auf die die Energieversorgungsunternehmen mit einer intensiven Vergrünung ihrer Stromtarife begegnen, andererseits aber auch durch regulatorische Vorgaben, wie z.B. die neue EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)) oder neue Produkte (z.B. grüner Wasserstoff). Zudem kann auch die zunehmende Dekarbonisierung in den Netzen einen entscheidenden Einfluss in die Nachfrageentwicklung haben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseits sehr viele Einflussfaktoren und Unsicherheiten bzgl. der zukünftigen Entwicklung gibt. Hier wäre die interessante Frage, welche Aspekte / Trends mittel- bis langfristig dominieren. Kurzfristig sind immer starke Volatilitäten möglich (Bsp. 2022-2024). Unterschiedliche Hedge- und Beschaffungsstrategien (+5 Jahre bis -1 Jahr (ex-post)) für ein bestimmtes Produktionsjahr sind entscheidend dafür, zu welchem Zeitpunkt welches Angebot auf welche Nachfrage trifft.
Wie beeinflusst die Preisentwicklung von Herkunftsnachweisen Ihre kurz- und mittelfristigen Beschaffungsstrategien und wie gehen Sie mit Preisschwankungen um?
Wie bereits erwähnt, ist die EnBW aufgrund ihres großen Vertriebs- und Erneuerbaren-Portfolios kontinuierlich auf beiden Seiten des Marktes aktiv. Kurzfristige Preisschwankungen können u.a. durch etablierte und bewährte Beschaffungs- und Hedgestrategien über einen mehrjährigen Zeitraum für ein bestimmtes Berichts- bzw. Produktionsjahr ausgeglichen werden. Dabei begleiten wir die aktuelle Marktentwicklung stets sehr eng und reagieren natürlich auch auf kurzfristige Preisbewegungen.
Rund um die isländischen Herkunftsnachweise gab es im vergangenen Jahr eine Diskussion, da Großverbraucher in Island in der Unternehmenskommunikation über ihren Stromverbrauch allein auf Basis der Gegebenheiten im örtlichen Strommix berichten. So wird das HKN-System ausgehebelt. Wie sichern Sie die Zusätzlichkeit der erworbenen Herkunftsnachweise und gewährleisten deren Transparenz und Nachverfolgbarkeit?
Grundsätzlich ist das European Energy Certificate System (EECS) ein geeignetes Rahmenwerk, um die Transparenz, die Verlässlichkeit und die Nachverfolgbarkeit von HKNs zu gewährleisten. Mit den etablierten und bewährten EECS-Regeln wird ein harmonisierter und standardisierter europäischer HKN-Handel ermöglicht, der insbesondere sicherstellen kann, dass Strom aus erneuerbaren Energien nicht doppelt vermarktet werden kann. Dazu prüft die AIB (Association of Issuing Bodies) regelmäßig die nationalen Register auf Einhaltung der EECS-Regeln.
Im Rahmen dieser Kontrollen sind die genannten Unregelmäßigkeiten in Island aufgefallen, die infolgedessen zu einer elektronischen Trennung des isländischen Registers geführt haben, sodass der Import von isländischen HKNs in andere europäische Register temporär nicht mehr möglich war. Untersuchungen ergaben, dass die Ursache dieser Doppelzählung / Doppelvermarktung nicht im EECS lag, sondern in der bereits erwähnten Praxis, dass in Island scheinbar Großverbraucher auf Basis des lokalen Strommix berichteten anstatt auf Basis der Stromkennzeichnung ihres Lieferanten. Ergebnis der Untersuchungen war, dass das isländische Register vorbehaltlich weiterer Maßnahmen der nationalen Behörden und des isländischen Registers wieder an den AIB-Hub angeschlossen wurde.
Wie eingangs festgestellt, ist das EECS grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit für alle Teilnehmer zu gewährleisten. Es bedarf jedoch stets zusätzlicher Anstrengungen / Maßnahmen auf nationaler Ebene, sowie weiterer Harmonisierungen auf EU-Ebene z.B. hinsichtlich Reportingstandards, um das bestehende europäische Zertifikatesystem zu unterstützen und seine volle Wirkung entfalten zu lassen. Den Einfluss des Endkunden / der Unternehmen darauf darf man dabei nicht unterschätzen. Auch heute ist die Transparenz im HKN-System bereits vorhanden: Aus welchem Land / welcher Region stammen die HKNs, von welcher Technologie, wie ist das jeweilige Anlagenalter und werden/wurden sie gefördert oder nicht? Auf Basis dieser Informationen kann jeder letzten Endes selbst entscheiden, welche Qualität er beziehen möchte.
Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie in der Beschaffung von Herkunftsnachweisen und wie begegnen Sie diesen?
Der Handel mit Erneuerbaren Energien / Herkunftsnachweisen ist von regelmäßigen Veränderungen geprägt. Neue Richtlinien, Verordnungen und Gesetzesinitiativen, Produktentwicklungen und Ausweitung der Geschäftsaktivitäten erfordern eine ständige Weiterentwicklung der Bewirtschaftungsstrategien und der verwendeten Prozesse und IT-Systeme.
Der über die letzten Jahre erfolgte, signifikante Zubau von EE-Anlagen in Europa, zusammen mit der kontinuierlichen Aufnahme neuer AIB-Mitglieder hat zu einer deutlichen Ausweitung / Intensivierung des internationalen HKN-Handels geführt. Insbesondere der zunehmende Trend hin zu explizit nachgefragten Technologien, speziellen Anforderungen hinsichtlich Regionalität, vorgegebener Zertifizierung und Neuanlagenrestriktionen führt zu einer stärkeren Granularität und einer höheren Komplexität, insbesondere in Bezug auf Systemabbildung, Portfoliomanagement und Nachweisführung.
Speziell die Marktbewegungen seit 2022 haben aber auch gezeigt, wie wichtig geeignete und funktionierende Risikomanagementprozesse sind. Kontinuierliche Überprüfungen der Anforderungen in Bezug auf KYC- (Know-Your-Customer) und Compliance- sowie interner Kreditrisikoprüfungsprozesse (Rating von Geschäftspartnern) sind genauso unabdingbar und selbstverständlich wie die intensive Zusammenarbeit mit externen Auditoren und Gutachtern.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Maier!
Lesen Sie hier weiter:
„Thema Energiespeicher ist mittlerweile völlig in der politischen Realität angekommen“