Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat jüngst die Ergebnisse einer Umfrage zum Thema „Künstliche Intelligenz“ am Energiemarkt vorgestellt. Tenor: Die Entscheider der Branche sehen das Thema als wichtig an, allerdings mangelt es an Strategie und Know-how. André Wilsdorf, Business Consultant beim IT-Dienstleister Arvato Systems, erläutert, wo die Energiewirtschaft in Sachen KI steht und wie Unternehmen einen Startpunkt zur Entwicklung entsprechender Strategien finden können.
Warum ist Künstliche Intelligenz (KI) eigentlich relevant für die Energiewirtschaft und warum gerade jetzt?
Die theoretischen Grundlagen der KI sind bereits ein halbes Jahrhundert alt. Doch erst durch die Entwicklung der technologischen Leistungsfähigkeiten in den letzten Jahrzehnten sind die IT-Systeme heute soweit, auch auf Basis der wachsenden Datenmengen Mehrwerte zu schaffen. Diese parallelen Entwicklungen ermöglichen nun erstmals praktikable und reife KI-Anwendungen in Unternehmen und großen Märkten – auch in der Energiewirtschaft. Denn gerade dort kann KI effektiv dazu beitragen, die massiven Umbrüche der Energiewende und dem regulatorischen Dauerfeuer zu bewältigen. Der Einsatz von KI macht die Akteure der Energiebranche wider-standsfähiger, flexibler und damit wettbewerbsfähig. Wir glauben, dass momentan tatsächlich die Weichen für eine neue technische Revolution gestellt werden.
Wo steht die Energiebranche beim Thema KI und welche Praxisanwendungen nehmen Sie bereits wahr?
Die Energiebranche ist umringt von Regularien, steigendem Wettbewerbs- und Margendruck und muss fortlaufend auf grundlegende Umwälzungen reagieren. Das Interesse an neuen Technologien, die Robustheit und Flexibilität im Energiesystem unterstützen, ist groß. Unternehmen wollen wieder in eine agierende Rolle wechseln und stellen auch Investitionen wieder in den Fokus. Schritt für Schritt entstehen in der Branche entsprechende Initiativen. Unternehmen wagen erste Pilotprojekte und Anwendungen, neue Produkte und Services entstehen. Erprobte Anwendungen gibt es beispielsweise schon in der digitalen Kundenkommunikation mit virtuellen Assistenten, im Bereich der vorausschauenden Wartung sowie dem Kraftwerks-Management. Aber auch bei der Gestaltung des Vertriebs und Marketings ist KI bereits im Einsatz, beispielsweise im Kundenwert- und Beschwerdemanagement.
Was kann KI denn konkret für Stadtwerke, Netzbetreiber und Lieferanten leisten?
Von der Erzeugung zur Verteilung, zum Vertrieb bis zur Abrechnung: Praxisanwendungen sind in fast allen Wertschöpfungsstufen eines Energieunternehmens einsatzfähig. Einige heute bekannte Anwendungsfälle sind für fast jede Marktrolle ja im Prinzip bereits jetzt vorhanden, gewinnen aber mit KI-Unterstützung noch einmal eine ganz neue Qualität – zum Beispiel bei jeder Art von datenbasierten Prognosen. KI schafft auch ganz neue Handlungsfelder. Denn in unserem Zeitalter von Big Data, ist die Auswertung und Verknüpfung von vielen feinsten Datenreihen möglich. Dies ermöglicht wesentlich genauere und dynamische Prognosen als früher. Diese Prognosen führen dann zu Handlungsempfehlungen, etwa wie Turbinen optimal gesteuert werden können, wie die Netzauslastung am besten betrieben wird – oder wie sich Kundenbedarf/-verhalten entwickelt.
In welcher KI-Anwendung sehen Sie persönlich das größte Potenzial und warum?
Einen sehr großen Wirkungsgrad hat natürlich die bereits oft genannte vorausschauende Wartung (Predictive Maintance) und sämtliche weitere Arten von Prognosen – von der Netzauslastung bis zum Energieverbrauch. Unternehmen werden durch KI darüber hinaus in die Lage versetzt werden, neue Geschäftsmodelle besser zu vermarkten oder auch völlig neue Vertriebskanäle zu etablieren. Ich bin mir sicher, dass KI mehr als ein Hype ist. Sie etabliert sich mehr und mehr als Motor der Unternehmensentwicklung – weil sie Geschäftsentscheidungen besser und Unternehmen produktiver macht. Deshalb freue ich mich sehr darauf, Unternehmen der Energiewirtschaft bei dieser spannenden Mission zu begleiten.
Was empfehlen Sie Unternehmen, um in das Thema einzusteigen?
Ich bin davon überzeugt, dass alle Unternehmen der Energiewirtschaft bereits heute schon über geeignete Anwendungsfälle, die durch KI-Methoden optimierbar sind, verfügen. Wir raten unseren Kunden: Klein anfangen, aber groß denken. Die Lösung ist das Ziel, Technologie und Definition sind eher zweitrangig. Das Wichtigste ist, erst einmal zu starten und sich auch „Scheitern“ erlauben. Mit den gesammelten Erfahrungen kann man dann Schritt für Schritt skalierbare Produkte erschaffen. Wichtig für den erfolgreichen Einstieg sind die Datenqualität und die richtigen Methoden. Auch die externe Unterstützung durch einen Dienstleister ist zielführend. Denn ein erfahrener Sparring Partner hilft dabei, den eigenen Status Quo zu analysieren und das Potenzial von KI mit den eigenen Ressourcen werthaltig für sein Unternehmen zu nutzen.