Der Hype um die „Blockchain“ hat sich in den vergangenen Monaten etwas gelegt, dafür gewinnen die Anwendungen an Reife. Die Energiebranche befasst sich immer intensiver mit dem Thema. Nach der im September 2020 vorgelegten Studie Digital@EVU kommen digitale Technologien wie KI und Blockchain inzwischen bei 27 Prozent der Energieversorger und -dienstleister zum Einsatz. (Bildnachweis: Sashkin / stock.adobe.com)
Aber wie ist der aktuelle Stand der Diskussion über die Blockchain und welches sind die tatsächlichen Möglichkeiten und Perspektiven, die Blockchain-Ansätze bieten? Antworten liefern verschiedene Studien, die in den vergangenen Monaten den Fokus auf die Blockchain-Technologie gelegt haben. Aber auch die Zahl konkreter Blockchain-Projekt – gerade im Peer-to-Peer-Bereich – nimmt zu. Und: Die Bundesregierung hat die Potenziale der Technologie inzwischen erkannt und legte im September 2019 eine Blockchain-Strategie vor.
Vielfältige Möglichkeiten, aber nicht für jedes Problem ist die Blockchain die Lösung
Eine Analyse der Deutschen Energie-Agentur (dena) und der European School of Management and Technology (ESMT Berlin) zeigt, dass Blockchain-Technologien das Potenzial besitzen, etwa bei öffentlichen Lade- und Abrechnungstransaktionen für Elektrofahrzeuge das dominierende Design zu werden. Das Kostensenkungspotenzial von Blockchain-Anwendungen für die Energiewende sei gleichwohl „begrenzt“, heißt es in der Studie. Insbesondere in Märkten, in denen sich bereits digitale Lösungen bewährt haben, treffe die Technologie auf starke Konkurrenzprodukte und -dienstleistungen.
Im Februar 2019 hat die Deutsche Energie-Agentur (dena) die Ergebnisse ihrer Studie „Blockchain in der integrierten Energiewende“ vorgestellt. „Unsere Studie zeigt, dass die Blockchain besonders dann nützlich werden kann, wenn sie existierende Protokolle zum digitalen Informationsaustausch ergänzt“, sagt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung. Die Studie verdeutliche aber auch, dass für jede Anwendung eine Einzelfallanalyse erforderlich ist. „Damit sich die Kerntechnologie weiterentwickeln und ihr Einsatz in der Energiewirtschaft ausgeweitet werden kann, müssen Politik und Wirtschaft dem Thema eindeutig mehr Aufmerksamkeit schenken“, fordert der dena-Chef.
Gereifte Anwendungsfälle: Anlagendatenbank auf Blockchain-Basis
Ein vielversprechender Ansatzpunkt für die Blockchain-Technologie bietet die Entwicklung eines digitalen Registers. Die dena arbeitet mit Partnern an der Entwicklung eines entsprechenden „Machine Identity Ledger“, wie sie im September 2020 bekannt gab. Eine entsprechende Lösung könnte die Infrastruktur für ein autmatisches Gerätemanagement in einem digitalen Energiesystem und damit einen wichtigen Einsatzfall für die Blockchain-Technologie in der Energiewirtschaft darstellen.
Bereits Anfang des Jahres 2020 befasst sich Ernst & Young im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums mit der Verknüpfung von Blockchaintechnologie mit Smart Meter Gateways (SMGW). Auf der Basis einer solchen technologischen Lösung könnte eine öffentliche Anlagendatenbank automatisiert gepflegt werden. Generell erscheinen Aufgaben im Bereich der Marktkommunikation ein Use Case für die Blockchain in der Energiewirtschaft. Hier ließen sich Transaktionskosten in erheblichem Maße einsparen, macht die Blockchain-Initiative Energie+ (BCIe+) im edna Bundesverband Energiemarkt & Kommunikation deutlich.
Vielversprechend wirkt auch der Ansatz, über eine Blockchain-basierte Vernetzung dezentraler Einheiten einen Zugang zu Systemdienstleistungsmärkten zu entwickeln. Einen entsprechenden Ansatz verfolgt das im Frühjahr 2020 gestartete Projekt Equigy, in dessen Rahmen eine länderübergreifende Blockchain-basierte Datenplattform geschaffen werden soll.
Blockchain in der Energiewirtschaft: „…zu früh, um von einem Siegeszug zu sprechen“
Spätestens in den Jahren 2017 und 2018 ist die Blockchain deutlich in die Wahrnehmung der Fachöffentlichkeit auch im Energiebereich gerückt. Schon damals wurde bei aller Euphorie auf die Grenzen der Technologie hingewiesen. Das Beratungshaus Pöyry Management Consulting hat im Rahmen seiner Publikation „Energie für Deutschland 2017“ der Blockchain ein Schwerpunktthema gewidmet. „Es ist noch viel zu früh, von einem Siegeszug zu sprechen, Blockchain muss seine Wertversprechen noch einlösen“, sagt Pöyry-Experte Eckart Lindwedel seinerzeit.
Das ist auch bis in die jüngere Vergangenheut die Einschätzung vieler Führungskräfte in der Energiewirtschaft gewesen. Die Hälfte der von der Unternehmensberatung Detecon Consulting befragten Führungskräfte gehen davon aus, dass es noch mindestens zwei Jahre dauern wird, bevor die Blockchain in der Energiewirtschaft über eine hinreichende Reife verfügt. Die Studie wurde Ende 2018 veröffentlicht.
Von einem Siegeszug spricht auch die Blockchain-Initiative Energie (BCI-E) im EDNA Bundesverband Energiemarkt & Kommunikation nicht. Aber: Die Blockchain sei in Form von Pilotprojekten als Technologie im Energiemarkt angekommen. Von den in einer Studie insgesamt 35 identifizierten Projekten im Energiesektor befasst sich die große Mehrzahl mit den Themen „Erzeugung und Vertrieb“. Ende 2019 hat sich die BCI-E als “BCI-E+” weiteren Digitalisierungstechnologien geöffnet. „Auslöser für diese Neupositionierung war die Erkenntnis, dass die Blockchain in bestimmten Prozessen eine sehr gute Lösung ist, in anderen aber nicht oder nur in Kombination mit weiteren Technologien“, hieß es.
Potenzial der Blockchain in entstehenden Märkten deutlich größer
Dena und ESMT betonen, dass das Potenzial der Blockchain in entstehenden Märkten deutlich größer ist. Blockchain ist eine dezentral organisierte digitale Plattform, die sichere Datenspeicherung und Transaktionen in Peer-to-Peer-Netzwerken ermöglicht. „Das revolutionäre Potenzial der Technologie besteht darin, vermittelnde Instanzen wie Banken überflüssig werden zu lassen, da Transaktionen direkt von Nutzer zu Nutzer getätigt werden können“, heißt es in der Studie.
Die Nutzung von Blockchain-Technologien könnte im Energiesektor unter anderem das Einbinden von zahlreichen dezentralen Erzeugungsanlagen vereinfachen und die Nutzung erneuerbarer Energien begünstigen. Durch diese Entwicklung ergeben sich neue digitale Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft. Das dena-Projekt für einen Machine Identity Ledger und das Equigy-Vorhaben weisen in diese Richtung. „So könnten Energieversorger sich beispielsweise hin zu Applikations- oder Systemanbietern entwickeln, um über Lizenz- und Nutzungsgebühren Umsatzrückgänge aus dem Energieverkauf zu kompensieren“, sagt Robert Schwarz von Pöyry Management Consulting, der die Analyse des Beratungshauses gemeinsam mit Lindwedel erstellt hat.
Das Thema hat in der deutschen Energiebranche schon in den vergangenen Jahren eine große Aufmerksamkeit erlangt. Bei Enercity können Kunden seit einiger Zeit mit der Kryptowährung Bitcoin zahlen, die auf dem Blockchain-Prinzip basiert. Und mehrere Projektpartner rund um blog.stromhaltig haben das Open-Source-Projekt Grünstromjeton auf den Weg gebracht, das Stromkunden einen geprüften Nachweis des tatsächlich bezogenen (Öko-)Stroms liefern soll. Inzwischen ist das Angebot StromDAO am Markt. „Die StromDAO führt eine Transformation des Strommarktes auf Basis von dezentral-erneuerbarer Erzeugung und Blockchaintechnologie durch“, heißt es auf der Website der Anbieter.
Blockchain und Peer-to-Peer-Stromhandel als Option für die Post-EEG-Zeit
Die Blockchain-Technologie könnte auch für Anlagenbetreiber interessant werden, wenn ihre EEG-Förderung in den kommenden Jahren ausläuft. „Über unser Modell eröffnen wir Windmüllern und Solaranlagenbetreibern die Möglichkeit, ihre Anlagen direkt beim Endkunden zu vermarkten und so kostendeckende Erlöse zu erzielen“, sagte Andreas Feicht, seinerzeit Vorstandschef der Wuppertaler Stadtwerke (WSW), beim Startschuss für ein viel beachtetes Blockchain-Projekt, das eine regionale Direktvermarktung von Strom aus konkreten Anlagen ermöglicht. Das Modell haben die WSW Anfang 2019 bundesweit ausgerollt. Auch andere Player setzen auf Regionalstrommodelle auf Blockchain-Basis.
Modelle wie das Regionalstrommodell der WSW können interessante Anwendungsfelder für die Blockchain in der Post-EEG-Zeit werden. Darauf macht auch die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) aufmerksam. „Die Blockchain-Technologie und die Anwendungsfälle rund um das Labeling von Energiemengen sowie der P2P-Handel stellen eine mögliche Vermarktungsoption für Neu- und Post-EEG-Anlagen dar und können die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen langfristig verbessern“, heißt es in einer im November 2018 veröffentlichten Studie.
Obschon die Blockchain-Technologie mit dem Versprechen an den Start geht, vermittelnde Instanzen überflüssig zu machen, könnten EVU und Energiedienstleister aber auch im Rahmen von Peer-to-Peer-Lösungen künftig eine wichtige Rolle spielen. Dafür spricht das regulatorische Umfeld in Deutschland, aber auch die Notwendigkeit, die Wirkung des Blockchain-Stromhandels auf das gesamte Stromsystem im Block zu behalten.
Mit der wachsenden Beachtung der Blockchain erhält das Thema auch organisatorisch mehr Struktur. Mitte 2017 wurde die Gründung des Bundesverbandes Blockchain bekannt gegeben. Konkret mit dem Thema Blockchain in der Energiewirtschaft befasst sich die BCI-E im EDNA. Die Initiative präsentierte einen Entscheidungsbaum, der bei der Frage helfen soll, ob die Blockchain für konkrete Anwendungsfälle eine geeignete technologische Basis darstellt.
In welchen Bereichen gibt es Projekte zur Blockchain in der Energiewirtschaft
Pöyry Management Consulting hat bereits 2017 eine Reihe von relevanten Pilotprojekten im Blockchain-Bereich identifiziert und zusammengestellt. Die Analyse ist auch heute noch aufschlussreich, da sie die Projekte nach bestimmten Kriterien clustert:
Start-ups nehmen bei Blockchain-Anwendungen Vorreiterrolle ein
Der dena-Analyse zufolge nehmen Start-ups bei den meisten Anwendungen eine Vorreiterrolle ein, aber Energieversorger holten mit Joint Ventures und Kooperationen auf, wie auch das Beispiel Conjoule zeigt. Weitere Belege für die These sind der Einsatz der Ethereum-Blockchain im innogy-Projekt BlockCharge, das die Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen erleichtern und standardisieren soll. BlockCharge hat das Ziel, ein weltweites Authentifizierungs – sowie Charging- und Billing- System ohne Vermittler zu etablieren. Unterstützt wird innogy dabei von dem Start-up Slock.it, das sich auf die Bereitstellung von Blockchain-Know-how für große Unternehmen spezialisiert hat.
Dena und ESMT haben für ihre Analyse Entscheidungsträger der deutschen Energiewirtschaft über ihre Einschätzungen, bestehende und geplante Aktivitäten sowie ihre Vision zum Thema Blockchain befragt. Von den rund 70 Entscheidungsträgern, die an der Umfrage teilnahmen, experimentiert bereits mehr als die Hälfte mit Anwendungen der Blockchain oder plant derartige Vorhaben. 21 Prozent sehen die Blockchain als Game-Changer für die Energieversorgung, 60 Prozent halten die weitere Verbreitung von Blockchain für wahrscheinlich und 14 Prozent erwarten Nischenanwendungen.
Nach zukünftigen Anwendungsbereichen der Blockchain-Technologie befragt, fallen rund die Hälfte der Anwendungen in den Bereich öffentliche und private Handelsplattformen, insbesondere Peer-to-Peer-Handel und dezentrale Energieerzeugung, während die andere Hälfte der genannten potenziellen Anwendungen unter dem Begriff „Prozessoptimierung“ zusammengefasst werden kann, einschließlich der Themen Abrechnung, intelligente Zähler und Datenübertragung. Hier werden weiterhin Vertrieb und Marketing, Automatisierung sowie Elektromobilität, Kommunikation und Netzmanagement genannt.
„Politik sollte Thema Blockchain mehr Aufmerksamkeit widmen“
Wenn in neu entstehenden Märkten noch verschiedene Lösungen konkurrieren, könnte es für die Blockchain einfacher als in bestehenden Märkten sein, zum Standard zu werden, heißt es in der Studie weiter. Als Beispiel nennt die dena/ESMT-Studie den Smart Meter Rollout, der in einigen Ländern wie Italien und Schweden bereits erfolgt ist. Die Bundesregierung plant seit Längerem den offiziellen Beginn des Rollouts in Deutschland. Noch ist aber unklar, welche Software-Lösung sich für multidirektionale Smart-Meter-Transaktionen durchsetzen werde. Ähnlich verhält es sich beim Zahlungssystem für Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen an öffentlichen Ladestationen, wie das Beispiel BlockCharge zeigt.
Schwieriger wird die Positionierung der Blockchain in Anwendungsbereichen, für die Plattformen und Prozesse bereits vorhanden und unter den Marktteilnehmern akzeptiert sind, führen die Autoren weiter aus. Strombörsen wie die Europäische Strombörse in Leipzig (EEX) dienten als Plattformen, die Akteuren den Handel mit Energie, Emissionen und deren Derivaten ermöglichten. „Hier muss Blockchain mit etablierten Lösungen konkurrieren. Nur wenn ihre Anwendung signifikante finanzielle oder operationelle Vorteile aufweist, können Blockchain-basierte Lösungen eine kritische Anzahl von Marktteilnehmern überzeugen, aus dem aktuellen Status quo auf die neue Plattform zu wechseln und damit eine ausreichende Liquidität zu erzeugen, um Blockchain als attraktive Alternative zu etablieren.“
Nach konkreten Handlungsfeldern befragt, empfehlen die Teilnehmer der Umfrage Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft, dem Thema Blockchain größere Aufmerksamkeit zu widmen. Gleichzeitig werden Bedenken geäußert, dass Deutschland und die Europäische Union im globalen Vergleich ins Hintertreffen geraten könnten. Zudem bewegen sich einigen Kommentaren zufolge Blockchain-Anwendungen in einer Grauzone des derzeitigen Rechtsrahmens, heißt es in der Studie weiter. „Die Finanzierung von Pilotprojekten und Prototypen sollte die Möglichkeiten der Technologie bestätigen und die Einführung kommerzieller Anwendungen für den Massenmarkt beschleunigen“, lautet das Fazit der Analyse.
Regulatorische Hemmnisse behindern größere Marktdurchdringung
Die Bundesregierung hat im September 2019 ihre Blockchain-Strategie vorgelegt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Energiebereich. „Die Online-Konsultation ergab, dass es in der Energiewirtschaft verschiedene Anwendungsfälle für Blockchain-Technologien gibt, bei denen die Technologie Mehrwert schafft“, heißt es in der Strategie, die das Bundeskabinett verabschiedet hat. „Hier können wir doppelt punkten, indem wir in Pilotprojekten die Chancen der Blockchain-Technologie nutzen und gleichzeitig die Digitalisierung der Energiewende vorantreiben“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier.
Prof. Martin Neumann, der für die FDP im Energieausschuss im Bundestag sitzt, hält eine Blockchain-Strategie für einen richtigen ersten Schritt, es müsse aber ein Blockchain-Gesetz folgen, um der Branche Planungssicherheit und Vertrauen zu geben, sagte Neumann Anfang 2019 auf einer Veranstaltung des Forums für Zukunftsenergien. Die Branche müsse hier der Politik vermitteln, welche Rahmenbedingung sie benötige, um neue Anwendungsfelder zu erschließen. Insgesamt sei es wichtig, Platz für Ideen zu schaffen, um die Potentiale der Digitalisierung zu heben. Zudem forderte er mehr Aufklärung über die Vorteile der Digitalisierung. Dabei komme auch der Wissenschaft eine wichtige Rolle zu.