Wie motiviert man die Verbraucher dazu, Strom möglichst dann zu nutzen, wenn der Anteil erneuerbarer Energien im Netz besonders hoch ist? Die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) haben jetzt einen flexiblen Stromtarif entwickeln, der die Frage adressiert. Es ist nicht das erste Mal, dass die WSW mit innovativen Modellen an den Markt gehen, das Blockchain-basierte Regionalstrommodell Tal.Markt sorgte 2018 für viel Aufsehen in der Branche.
Schon vor zehn Jahren habe der Versorger damit begonnen, sich mit dem Thema Lastverschiebung intensiv zu beschäftigen. Standen dabei zunächst Gewerbe- und Industriekunden im Fokus, so untersuchten die WSW gemeinsam mit der Bergischen Universität Wuppertal und anderen Akteuren im Rahmen eines von der EU geförderten Forschungsprojekts auch die Potenziale für Verbrauchsverschiebung durch Verhaltensänderung in Privathaushalten. Ergebnis: Es konnte in diesem Kundensegment ein Potenzial zwischen 7 und 10 Prozent des Gesamtbedarfs ermittelt werden. Die WSW gehen davon aus, dass mit Zunahme von Elektromobilität und Wärmepumpen dieser Anteil noch steigt.
Damit es sich für Privatkunden lohnt, das Lastverschiebungspotenzial zu nutzen, haben die WSW nun den dynamischen Stromtarif WSW Tal.Markt Flex entwickelt. Der Tarif nutzt als Anreiz zur zeitlichen Verschiebung möglichst großer Lasten stündliche Preise vom Day-Ahead-Markt der Strombörse. Eine hohe Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie führt oft zu kurzfristig niedrigen Preisen. Hohe Preise hingegen repräsentieren eine große Nachfrage nach elektrischer Energie sowie eine geringere Verfügbarkeit grünen Stroms.
Ziel des neuen Tarifs ist die Berücksichtigung solcher innertägiger Schwankungen von Angebot und Nachfrage zur besseren Integration erneuerbarer Energien in das elektrische Energiesystem. WSW Tal.Markt Flex ermögliche es Kunden durch ein Anreizsystem, diese kostensenkenden Potenziale zu nutzen und entfaltet so zugleich eine Lenkungswirkung für eine optimierte Stromabnahme.
Konkret basiert der dynamische Tarif der WSW auf den stündlichen Preisen des Tages, die täglich zwischen 13 und 15 Uhr veröffentlicht werden. Eine zusätzliche Einschätzung für die Folgetage geben die WSW auf der Tal.Markt Flex-Plattform ab. Die Kunden erhalten diese in Form von näherungsweise zu erwartender Arbeitspreise für sechs Tage im Voraus.
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Die monatliche Abrechnung berücksichtigt den mengengewichteten Preis auf Basis des tatsächlichen Bedarfs. „Abschlagszahlungen, Erstattungen oder gar Nachzahlungen entfallen vollends“, heißt es bei den WSW. Die Preise bewegten sich nur innerhalb eines vorher festgelegten Korridors. „Durch eine fixe Obergrenze ist gewährleistet, dass die Kunden kein unbegrenztes Kostenrisiko eingehen.“ Die Fair-Preis-Linie des WSW Tal.Markt Flex sichere alle Kunden ab, sofern der stündliche Arbeitspreis oberhalb von 50 ct/kWh rangiert. Die Nutzung von WSW Tal.Markt Flex setzt die Installation eines intelligenten Messsystems voraus.
Verbraucher müssen mit intelligenten Produkten an Energiewende beteiligt werden
Die WSW böten den Tal.Markt Flex-Kunden eine hohe Transparenz über die Preisentwicklung und den individuellen Verbrauch, betont der Versorger. Alle relevanten Informationen zu Verbrauch und Preisen werden demnach per Dashboard bereitgestellt. Zusätzlich können sich die Nutzerinnen und Nutzer per E-Mail über günstige Preisfenster benachrichtigen lassen. Diese Preissignale stellen die WSW den Kunden unabhängig von WSW Tal.Markt Flex über einen MQTT-Feed zur Verfügung. So können schaltbare Geräte über eine Heimautomation gesteuert werden.
„Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, müssen wir die Verbraucher mit intelligenten Produkten wie dem WSW Tal.Markt Flex daran partizipieren lassen. Neben dem bundeseinheitlichen Börsenstrompreis dürfen dabei nicht die Belastungen des Verteilnetzes außer Acht gelassen werden“, sagt WSW-Vorstandsvorsitzende Markus Hilkenbach. Die regulatorischen Rahmenbedingungen, die gegenwärtig politisch diskutiert werden, müssten dem Rechnung tragen. „Wir arbeiten bereits an Ideen, wie diese dann mit unserem dynamischen Stromtarif kombiniert werden können“, so Hilkenbach weiter.
2018 feierte der WSW Tal.Markt als weltweit erster Blockchain-basierter Online-Handelsplatz für regionalen Ökostrom Premiere. Potenziale zur Lastverschiebung in den Stromnetzen haben die WSW in mehreren Gemeinschaftsprojekten („Happy Power Hour“, „Wuppertal spart Watt“, „AutoFlex“) untersucht. Daraus entstand unter anderem das „Wuppertaler Energiewetter“, ein Tool, um ein günstiges EE-Angebot in den Netzen für Letztverbraucher zu visualisieren. Diese Ideen haben die WSW nun zum ersten dynamischen Ökostromtarif für Privatkunden weiterentwickelt. Das Produkt soll zunächst 50 Testkunden zur Verfügung stehen.