Die Bundesregierung versucht den Ausbau insbesondere der Photovoltaik und der Windenergie in kurzer Zeit deutlich zu beschleunigen. Manche Verfahren erweisen sich hier aber als Flaschenhals. Sie erschweren das Erreichen ambitionierter Ausbauziele erheblich, selbst wenn diese im Gesetz festgeschrieben sind. Ein solcher Flaschenhals sind die Zertifizierungsprozesse bei großen Solaranlagen. Das Greentech-Startup CarbonFreed hat mit „gridcert“ jetzt eine KI-Software entwickelt, mit deren Hilfe das Netzanschlussverfahren großer Solaranlagen von mehreren Monaten auf wenige Wochen verkürzt werden soll. Kürzlich hat das Unternehmen einen sechsstelligen Förderbetrag vom Land Schleswig-Holstein erhalten, um die Entwicklung der KI-Software voranzutreiben. (Beitragsbild: Das CarbonFreed-Kernteam; Bildquelle: CarbonFreed)
Bei jeder Solaranlage größer als 135 Kilowatt (kW), die in Deutschland ans Netz geht, muss projektspezifisch nachgewiesen werden, dass sie alle Anforderungen des Netzbetreibers einhält, um die Netzstabilität zu gewährleisten und die Systemsicherheit nicht zu gefährden. Dieser Prozess kann sehr zeitaufwändig sein. „Die Datenqualität ist vielfach nicht optimal und die Arbeitsschritte sind hochgradig manuell, was wahnsinnig viel Zeit kostet“, sagt CarbonFreed-Gründer Marko Ibsch. „Wir suchen die für die Zertifizierung notwendigen Daten von allen beteiligten Projektpartnern zusammen und erstellen am Ende einen in sich konsistenten Datensatz. Dieser kann dann von den Zertifizierungsstellen schnell bearbeitet werden.“
„gridcert”: Künstliche Intelligenz sichtet große Datenmengen
Das Ergebnis ist, dass die Anlagen deutlich früher sicher ans Netz kommen und Strom einspeisen. Mittlerweile habe das CarbonFreed-Team mehr als 450 Zertifizierungen begleitet – bisher vor allen Dingen händisch, indem Ingenieure die Informationen gesichtet und ausgewertet haben, berichtet das Unternehmen. Diesen Prozess hat CarbonFreed mit „gridcert“ jetzt digitalisiert und setzt dabei auf künstliche Intelligenz. Eine KI sei sehr gut darin, große Datenmengen schnell zu sichten, sagt Ibsch. „In der Elektrotechnik ist zum Glück fast alles mit Schlüsselwörtern und DIN-Zeichen versehen und standardisiert. Die nötigen Daten sind für eine intelligente Software also in der Regel gut zu erkennen.“
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Der von CarbonFreed entwickelte KI-Algorithmus übernimmt die Sucharbeit der benötigten Informationen, damit anschließend die Bewertung gegen die entsprechenden Anforderungen des Projekts stattfinden kann. Durch die Aufbereitung der Informationen und einer vorbereitenden Bewertung hätten die Ingenieure in den Zertifizierungsstellen mehr Zeit für die wichtigen finalen Zertifizierungsentscheidungen. „Wir gehen davon aus, dass Zertifizierungsstellen dank unserer Software künftig Anlagenzertifikate sechsmal schneller ausstellen können als vorher“, sagt Ibsch.
Energiewende: Intelligente Softwaresysteme als Lösungsansatz
Die Bundesregierung hat sich auch im Solarbereich ehrgeizige Ziele gesetzt, um die Energiewende voranzutreiben. Doch die Kapazitäten in den Zertifizierungsstellen sind begrenzt – auch bedingt durch den Fachkräftemangel. „Die Zertifizierungsstellen schaffen bundesweit pro Jahr etwa 1.500 bis 2.000 größere Solaranlagen. Das entspricht einer Kapazität von fünf Gigawatt“, rechnet Ibsch vor. „Wir brauchen aber rund 10.000 Anlagen pro Jahr mit einer Kapazität von 15 Gigawatt, damit wir die Ausbauziele der Bundesregierung schaffen und den Umbau des Energiesystems hin zu den erneuerbaren Energien realisieren können.“
Allein mit zusätzlichem Personal sei es nicht getan, sagt Ibsch. „Egal mit wem wir sprechen – ob Zertifizierer, Netzbetreiber, PV-Entwickler – alle stöhnen, weil der Ablauf der Netzanschlusszertifizierung so komplex, manuell und zeitraubend ist, dass sich die Elektroingenieure kaum um zusätzliche Anlagen kümmern können. So werden wir die Zubauzahlen nie in den Bereich kriegen, den wir eigentlich benötigen.“ Intelligente Softwaresysteme wie ‚gridcert‘ können hier eine wichtige Rolle spielen. „Wir beschleunigen den gesamten Zertifizierungsprozess bei allen beteiligten Parteien und kriegen damit noch mehr Solaranlagen ans Netz.“
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